Mit Blaulicht durch Guiyang

Kreislaufpause Die Luft über dem Asphalt flimmert erbarmungslos; in den Hängen über der Stadt toben Waldbrände. Es ist 10:30 Uhr und das Thermometer am Citycenter von Panzhihua verkündet bereits 44°C. Wir sind auf dem Weg nach Süden aus der Stadt heraus nach Kunming, als es plötzlich hinter mir scheppert. Mellie sitzt benommen und zitternd neben ihrem Fahrrad am Straßenrand. Ihr Kreislauf macht die Anstrengung in dieser Hitze nicht mehr mit. Aber hier brauchen wir noch keinen Krankenwagen. Keine Sorge! Wir schieben zum Busbahnhof und fahren die restlichen 300 Km nach Kunming mit dem Bus. Stadtzentrum Kunming

Kunming und die erleuchtete Schildkröte

Kunming, die Provinzhauptstadt Yunnans (gesprochen: Ün-nan) liegt in einer günstigen Berglage an einem großen See auf über 1900m Höhe. Hier wird es selten heiß und nie wirklich kalt. Die Chinesen nennen die Stadt daher auch die „Frühlingsstadt“. In Kunming läuft alles für chinesische Verhältnisse deutlich entspannter und ruhiger. Mellie braucht ein bisschen um wieder zu Kräften zu kommen, aber die Kühle und Ruhe helfen deutlich dabei. Wir schlendern über den berühmten Blumen- und Vogelmarkt der Stadt und relaxen im Stadtpark. Am letzten Tag besichtigen wir noch den fast 1000 Jahre alten buddhistischen Yuantong Tempel. Der Gesang der rezitierenden Mönche klingt durch die Anlage und ein leichter Nieselregen taucht alles in ein warmes Zwielicht. Hinter dem Tempel an die Felswand geschmiegt liegt ein kleiner Teich. Als ich näher trete, taucht direkt vor mir eine Schildkröte auf. Ich fische sie heraus, setze sie vor uns auf das Mäuerchen um den Teich und dann passiert es: Sie steckt den Kopf aus dem Panzer und lächelt mich zufrieden an! So muss Erleuchtung aussehen. Für mich ist diese Schildkröte der heimliche Star des Tempels. Mellie kann sich vor Lachen kaum noch halten. Garantiert Erleuchtet!

Weiter nach Osten

Doch so schön Kunming ist, es scheint kein guter Ort zu sein, unser Visum zu verlängern: Viele berichten von ewigen Wartezeiten und einer Bearbeitungsdauer von bis zu 10 Tagen. Hinzu kommt, dass diese Verlängerung unsere letzte bleiben wird. Nur sehr selten wird heutzutage eine zweite Verlängerung gewährt und wir wollen das Risiko nicht eingehen, dass wir unsere Reise irgendwo kurz vor dem Ziel abbrechen müssen. Wir haben uns daher entschlossen unsere Verlängerung in Guiyang zu beantragen und von hier über Guilin nach Guangzhou zu fahren, wo unsere Reise dann nach insgesamt 5 Monaten in China enden wird. Guiyang nach Guangzhou auf einer größeren Karte anzeigen
Von Guiyang geht es 1.200 Km durch die atemberaubenden Karstlandschaften Chinas Bilderbuchsüdens in das Wirtschaftszentrum der Nation. Ein würdiger und machbarer Abschluss des Projekts. Noch einmal heißt es daher Busfahren. Volksplatz Guiyang

Stundenhotels und der südchinesische Stadtverkehr

Der Bus erreicht um 23 Uhr die Peripherie Guiyangs. Den Rest der Strecke, noch immer 20 Km, bis in die Stadt müssen wir auf dem Rad bewältigen. Die unzähligen Karstkegel und tiefen Täler Guiyangs machen die Fahrt zu einer Odyssee im Zickzackkurs. Um 1 Uhr Nachts erreichen wir schließlich die Innenstadt, doch das Hostel, das wir uns ausgesucht hatten, gibt es nicht mehr. In einer kleinen Nebenstraße finden wir schließlich nach langem Suchen ein schäbiges, aber bezahlbares Hotel. Wir checken gerade ein, da torkelt ein junger, schwer alkoholisierter Mann neben uns an die Rezeption und lallt: „Hey! Gibt es hier Nutten?“ Na Klasse! Ein Stundenhotel. Die Geräuschkulisse auf den Gängen bestätigt den Verdacht. Doch das eigentliche Problem haben wir uns aus Kunming mitgebracht: Etwas am letzten Essen hier war nicht mehr gut und so verbringt Mellie die Nacht auf der Toilette. Im schäbigen Stundenhotel wollen wir nicht bleiben. Zudem brauchen wir eine „legale“ Bleibe mit polizeilicher Meldung für den Visumsantrag. Wir müssen also weiter. Am anderen Ende der Stadt haben wir ein anderes Hostel gefunden - wieder knapp 20 Km. Zuviel für Mellie. Nach dieser Nacht kann sie kaum noch laufen. Sie fährt daher Taxi und ich muss beide Räder nacheinander durch den mörderischen Straßenverkehr dieses Molochs bewegen. Die erste Fahrt geht gut und ich komme nach nur 45 Min. fast zeitgleich mit Mellie im Hostel an. Doch die zweite Fahrt wird der Horror. Starker Platzregen und der Berufsverkehr erwischen mich eiskalt. Kurz nach der Auffahrt auf den Expressway aus der Stadt heraus passiert es: Ein parkendes Auto zieht direkt vor mir aus der Lücke, ich muss stark bremsen und fliege auf der nassen Fahrbahn bei fast 30 Sachen seitlich vom Fahrrad. Wir schlittern getrennt von einander knappe 10m über den Asphalt. Keiner Hilft, keiner Hält. Unter Schock räume ich das Rad und die losen Taschen von der Fahrbahn. Der Fahrer, der mich ausbremste, hat noch nicht einmal etwas davon mitbekommen. Er war mit seinem Handy beschäftigt und ist einfach weiter gefahren. Ich habe einen Schutzengel (rückblickend war es vielleicht auch die erleuchtete Schildkröte): Das Wasser auf der Fahrbahn muss die Reibung deutlich gesenkt haben und meine Anziehsachen fangen das schlimmste ab. So komme ich mit zwei aufgeschlagenen Knien und Händen davon. Auch hier kommen wir ohne Blaulicht aus. Das Rad bleibt ebenfalls unbeschädigt. Nass, schmutzig und wütend erreiche ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit das Hostel vor den Toren der Stadt. Nach einem kalten Bier und einigen Spritzer Desinfektionsmittel geht es früh ins Bett. Was für ein Scheißtag! Am Ziel

Mit Blaulicht zum Visum

Am nächsten Morgen müssen wir früh raus. Wir sind uns nicht ganz sicher zu welcher Polizeiwache wir wirklich müssen um unser Visum zu verlängern, aber immerhin haben wir alle Dokumente rechtzeitig fertig bekommen (je eine Kopie des Passes und des aktuellen Visums, ein biometrisches Passbild, aktuelle Kontoauszüge, ein Reiseplan für die nächsten 30 Tage und die Bestätigung der polizeilichen Meldung vom Hotel). Angeschlagen (ich humpele, Mellie ist nach wie vor sehr kraftlos) fahren wir zur Adresse, die der Lonely Planet für die entsprechende Behörde angibt, aber hier gibt es noch nicht einmal mehr eine Polizeistation. Wir fragen uns durch. Nach einigem Hin und Her erhalten wir schließlich eine glaubwürdige Adresse und setzen uns in ein Taxi. Wir landen in einem Neubauviertel 15 Min. vom Stadtzentrum entfernt. Doch wie sich schnell herausstellt, sind wir bei der falschen Behörde gelandet. Das Gebäude gehört China Inspection and Quarantine. Keiner kann uns sagen wo wir nun weiter hin könnten. Wir sind verzweifelt. Doch dann fasst sich ein junger Polizist an der Pforte ein Herz. Er setzt uns kurzer Hand in sein privates Auto und fängt an sich bei den Dienststellen telefonisch zu erkundigen wo wir hin müssen. Es kostet ihn viele Anrufe und einiges an Mühe, aber schließlich düsen wir mit unserem neuen Freund in einem Polizeibus mit Blaulicht zur Entry & Exil Administration der Stadt Guiyang. Wer hätte damit gerechnet? Dieser Service beschämt uns etwas. Es ist kaum vorstellbar, dass Ausländern in Deutschland auch nur eine ähnliche Hilfe zu Teil werden könnte. Im Gebäude selbst dürfen wir die lange Schlange der wartenden Chinesen umgehen und werden prompt auch in der sonst so strengen Mittagspause bedient. Es ist immer wieder unglaublich wie viele Privilegien wir als weiße Europäer doch vieler Orts genießen. Das neue Visum können wir am Freitag abholen.

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4 Kommentare

  1. Oh man, euch gute Besserung. Da kann man beim Lesen schon richtig mitfühlen. Und trotzdem gab es ein gutes Ende…

    Geht es euch körperlich schon besser? Da sind jetzt bestimmt ein paar tage Urlaub angesagt, oder? 😉

    Viel Spaß (trotzdem) noch!

    Martin

  2. „Es ist immer wieder unglaublich wie viele Privilegien wir als weiße Europäer doch vieler Orts genießen.“

    „Es ist kaum vorstellbar, dass Ausländern in Deutschland auch nur eine ähnliche Hilfe zu Teil werden könnte.“

    Letzteres hängt mit dem Umstand zusammen, dass hier eben NICHT massenhaft weiße Europäer angesiedelt werden, sondern die Unterschicht aus Dritte-Welt-Ländern. Logisch bekommen die von der einheimischen Bevölkerung nicht die selben Privilegien wie jene Menschen, die zum Aufbau und zur Bewahrung von Kultur und Tradition beitragen. Und das tun nun mal zu einem großen Teil die bösen, weißen, rassistischen Mitteleuropäer. Sie sind es, die Fortschritt bringen, die Kant und Schiller in die Welt brachten, Goethe und Beethoven, Newton und Planck.

    Wenn man uns umgekehrt auch mit Leuten beglücken würde, denen eine dichte Gasleitung wichtig ist, so würde es auch hier ganz anders mit der Gastfreundschaft aussehen!

    Sorry, konnte mir den Klugschiss nicht verkneifen. Großartige Sache, die ihr da macht. Werde auch noch mal ein bißchen mehr dazu schreiben. 😉

    • Lieber Frank, da weiß man gar nicht wo man anfangen soll…und eigentlich haben wir auch gar keine Lust darauf. Nur zwei Gedanken:

      1. Genauso hat man über viele Jahrhunderte der Kolonialvergangenheit hinweg die Ausbeutung eines großen Teils der Welt legitimiert.

      2. Diese Haltung zeugt davon, dass du noch nie über den europäischen Tellerrand hinaus geschaut hast. Ansonsten hättest du sicher festgestellt, dass viele andere Kulturen deutlich vor den Europäern „kulturschaffend“ waren und ebenfalls renommierte Gelehrte, Schriftsteller und Wissenschaftler hervorgebracht haben. (Es belustigt uns ehrlich gesagt etwas, das du das ausgerechnet schreibst, wenn es um China geht!)

      Als Fazit bleibt festzuhalten, dass wir uns von solcherlei Beiträgen ganz klar distanzieren. Wenn du dieses Thema weiter diskutieren möchtest, würden wir dir folgende Seite empfehlen: http://thilosarrazin.blog.com

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